Mittwoch, 1. August 2007

Dauerschmerz durch Medikamente.

Seit ihrer Kindheit leidet sie unter Migräne, besuchte einen Arzt nach dem anderen, versuchte Schmerztherapien und Akupunktur. "Während der Schwangerschaft war es besonders schlimm", sagt die 37-jährige Hamburgerin. Mit Schmerzmitteln versuchte sie, sich fit zu halten. "Man kann sich ja nicht ständig krankmelden. Man muss ja funktionieren." Doch der Kopfschmerz wurde immer nur schlimmer.

Für Ulrike Bingel, Neurologin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), ein typischer Fall. Denn was viele Kopfschmerz-Patienten nicht wissen: Durch übermäßige Einnahme von Schmerzmitteln oder Medikamenten gegen Migräne (Triptane) kann sich ein Dauerkopfschmerz entwickeln. "Das ist, als würden Sie auf ein Gaspedal drücken", erklärt Ulrike Bingel, die die 37-Jährige in der Kopfschmerzsprechstunde am UKE betreut.

"Nach einer Studie der Deutschen Migräne-und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) leiden bis zu zwei Prozent der Bevölkerung an solchen medikamenteninduzierten Kopfschmerzen", sagt Prof. Andreas Straube, Neurologe an der Universität München und DMKG-Vizepräsident. Davon seien etwa 80 Prozent vor allem Migränepatienten und 20 Prozent Patienten mit chronischem Spannungskopfschmerz. Denn solche durch Medikamente verstärkte Schmerzen treten nur bei Patienten auf, die bereits an einem primären Kopfschmerz leiden.

Ab wann ein Übergebrauch zu Dauerkopfschmerz führt, ist Straube zufolge unterschiedlich. Die DMKG rate deshalb in ihren Leitlinien, Medikamente gegen Kopfschmerzen nicht häufiger als zehn Tage im Monat und nicht länger als drei Tage in Folge einzunehmen.

Vor allem Migränepatienten mit einem hohen Leistungsbewusstsein, die auch vorbeugend Schmerzmittel vor einem wichtigen beruflichen Termin nehmen, seien betroffen, sagt Straube. "Man rutscht da schnell rein, aus Angst vor Kopfschmerzen", bestätigt die Mutter aus der Hamburger Kopfschmerzsprechstunde, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will: "Migräne gilt ja bei vielen Arbeitgebern immer noch als nicht ernst zu nehmende Frauenkrankheit", so ihre Erfahrung.

Verlässt sich der Patient nur auf Medikamente, steigt das Risiko, einen Dauerkopfschmerz zu entwickeln. Der kann sich je nach Medikament von den ursprünglichen Kopfschmerzen unterscheiden: Der typische Migräne-Kopfschmerz ist einseitig, klopfend und pulsierend. Werden Triptane zu oft eingenommen, erhöht sich die Frequenz der Migräne-Attacken, erklärt Ulrike Bingel. Bei Übergebrauch von Schmerzmitteln wie Paracetamol kommt ein dumpf drückender Kopfschmerz hinzu wie der klassische Spannungskopfschmerz.

Was im Körper passiert, wenn zu viel Medikamente gegen den Kopfschmerz genommen werden, sei noch nicht genau erforscht, erklärt Straube. Es werde aber vermutet, dass es zu einer Art Übersensibilisierung im Nervensystem kommt, das Kopf und Gesicht versorgt, sagt Ulrike Bingel.

Der Wissenschaftler und Buchautor Klaus-Peter Kolbatz ist hier schon weiter und hat festgestellt, dass durch die Einnahme von Schmerzmittel das körpereigene Morphin (Endorphine) entsprechend reduziert wird und somit zwangsläufig mit Schmerzmittel ein Ersatz geschaffen werden muss. Das heißt: Je mehr Schmerzmittel eingenommen werden, desto weniger körpereigene Morphine werden verwertet. Werden die Schmerzmittel abgesetzt, dann dauert es ca. eine Woche bis der Bedarf an Morphin wieder hergestellt ist. Zu den Endorphinen gehört auch das Glückshormon Serotonin. Endorphine müssen täglich neu gebildet werden. sie steuern beim Menschen u.a. auch den Gemütszustand und sind wichtig gegen Depressionen und Erschöpfungszustände.

Um herauszufinden, ob sie an einem durch Schmerzmittel verursachten Kopfschmerz leiden, sollten Patienten deshalb ein Schmerztagebuch führen. Darin wird festgehalten, welche Medikamente gegen die Kopfschmerzen eingenommen werden und ob sie überhaupt geholfen haben. "Denn nicht selten nehmen Patienten Schmerzmedikamente ein, von denen sie sagen, dass sie eigentlich gar nicht mehr helfen", sagt Kolbatz.

Entwickelt sich ein Dauerkopfschmerz, hilft nur noch eine strikte Einnahmepause von etwa 8 bis 10 Tagen: "Etwa 80 Prozent der Patienten geht es danach besser", sagt Kolbatz. Auch die eigentlichen Migräne-Attacken treten seltener auf. Allerdings müssen die Patienten damit zurechtkommen, dass sie in den ersten Tagen des Entzugs sogar noch stärkere Kopfschmerzen haben als sonst.

Wer sich stark genug fühlt, kann eine Medikamentenpause ambulant versuchen oder, die Einnahme der morgendlichen ersten Schmerztablette, schrittweise immer weiter hinaus zu ziehen. Betroffenen, die zum Beispiel bereits rückfällig geworden sind, empfiehlt Kolbatz eine stationäre Behandlung. Bei dieser werden typische Migräne-Begleiterscheinungen wie Übelkeit und Erbrechen durch Infusionen gelindert. Mit Kortison könnten die Schmerzen während des Entzugs behandelt werden. In manchen Fällen werden auch Antidepressiva verschrieben, um den Entzug zu erleichtern, sagt Privatdozent Peter Kropp, Psychologischer Psychotherapeut an der Universität Rostock und Generalsekretär der DMKG.

Um es überhaupt nicht soweit kommen zu lassen, sollten die Patienten ihre Migräne auch mit nicht-medikamentösen Alternativen angehen. "Hierbei können auch die Fakir - Methoden beitragen", sagt Kolbatz.Die Migräne-Prophylaxe sieht neben zusätzlichen Medikamenten wie Beta-Blockern auch Entspannungstechniken vor. Dazu gehören Progressive Muskelrelaxation, Biofeedback oder kognitive Verhaltenstherapien.

Dabei lernen die Betroffenen, sich auf bestimmte Körpersignale zu konzentrieren, erklärt Kropp. "Ihnen wird der Sinn dafür geschärft, dass sie bestimmte Signale wahrnehmen können." Entspannungstechniken müssen Migräne-Patienten in schmerzfreien Phasen einüben. Auch Ausdauersport hilft Studien zufolge. "Sport führt zu einer Reduktion der Migräne-Attacken von 40 bis 50 Prozent."

Wege zum Stressmanagement und eine Verhaltenstherapie seien aber ein wichtiger Baustein in der Migräneprophylaxe. "Denn der typische Migräne-Patient ist ein Perfektionist, der angestrengt versucht, Fehler zu vermeiden", erklärt Kropp. Deswegen seien Techniken zur Entspannung und Selbstwahrnehmung so wichtig. Er ist überzeugt, dass Patienten die Zahl der Migräne-Anfälle mit der richtigen Prophylaxe reduzieren können. "Man kann Migräne zwar nicht heilen, aber auf jeden Fall bewältigen."

Diese Hoffnung hat auch die Patientin von Ulrike Bingel: Die 37-jährige Mutter setzt nach ihrem letzten Entzug auf Alternativen. "Ich will ja eigentlich keine Medikamente nehmen", sagt sie. Stattdessen möchte sie ihre Kopfschmerzen mit Entspannung in den Griff bekommen.

Book on Demand Titel: "Burn-out-Syndrom" - Infarkt der Seele - - 2. Ausgabe, September 2008, 184 Seiten; ISBN: 9783837065213; Preis EURO 19,90

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